Es war einmal...

Es war einmal eine kleinteilige Landschaft aus Äckern, Streuobst- und Blumenwiesen, verwilderten Gebüschstreifen und Brombeerhecken am Rande einer netten, ruhigen Gemeinde im Rheintal. Nichts besonderes und ein wenig wie im Dornröschenschlaf. Das störte eigentlich niemanden und erfreute vielleicht sogar den einen oder anderen Spaziergänger und einige Kinder, die dort gerne spielten. Man weiß es nicht.

 

Einige Tiere lebten auch im Gebiet und profitierten davon, dass sich zum Glück niemand so recht kümmerte. Heuschrecken, Schmetterlinge, Eidechsen, Spinnen, Käfer, etliche Vögel und ab und an ein Igel und Wildkaninchen waren dort zu sehen.

 

Die nette, ruhige Gemeinde bemerkte aber, dass sich aus der verwahrlosten, nutzlosen Fläche etwas machen ließe - nämlich Geld. Die Grundstückseigentümer hatten die Aussicht auf die Vergoldung ihrer Äcker durch Umwandlung in Bauland und liefen fortan mit Symbolen einer ausländischen Währung in den Augen durch die Gegend, die Gemeinde konnte auf Erhöhung ihrer Steuereinnahmen durch die geplante Ansiedlung von Einzelhandel und die Erhöhung der Einwohnerzahl hoffen. Und die Schaffung von Wohnraum für junge Familien zieht als Argument ja eigentlich immer. Beziehungsweise die allgemeine Knappheit an Bauland und die unbedingt erforderliche Eigenentwicklung des Ortes. Das mit dem Geld muss man ja nicht unbedingt an die große Glocke hängen. Die rückläufigen Bevölkerungszahlen in Deutschland sind auch keine Tatsache, die hier eine maßgebliche Rolle bei der Entscheidungsfindung gespielt und einem realistisch betrachtet absolut unnötigen Flächenverbrauch Einhalt geboten hätte.

Es wurde also ein Vorentwurf zum Bebauungsplan aufgestellt, ist ja Vorschrift und muss so sein. Das ganze ward dann im Amtsblatt veröffentlicht und die Bevölkerung eingeladen, zum Entwurf ihre Einwände vorzutragen, die dann im Rahmen der Beschlussfassung im Gemeinderat geprüft werden sollten. Ist auch Vorschrift, vielleicht tatsächlich aber nicht unbedingt gewollt. So genau lässt sich das wohl nicht sagen. Man erhalte auf jeden Fall Rückmeldung, was denn die Würdigung der vorgetragenen Einwände ergeben habe, hieß es in der Veröffentlichung des Vorentwurfs.

 

In besagter Gemeinde wohnte seit einiger Zeit auch ein Naturfotograf, der sich sehr darüber freute, dass der Ort so idyllisch rundum mit Wäldern und Wiesen umgeben war und der daher nie weit laufen musste, um seinem Hobby nachgehen oder sich einfach in der Natur erholen zu können. Ganz besonders freute er sich natürlich, als er vor einigen Jahren Mantis religiosa, die Europäische Gottesanbeterin in unmittelbarer Nähe seines Wohnortes durch Zufall entdeckte. Diese profitierte sehr vom milden Klima im Rheintal, der extensiven Nutzung und dem reichen Nahrungsangebot am verwilderten Ortsrand und vermehrte sich prächtig. Alle zwei Jahre wurden Teile der Fläche gemulcht, was zum Verlust etlicher Individuen führte, da das natürlich immer dann passierte, wenn die meisten Tiere gerade mit der Eiablage beschäftigt waren. Der Fortbestand der Population war aber nie gefährdet, es gab ja trotzdem genügend Rückzugsmöglichkeiten

 

Bis - ja, bis der Vorentwurf zum Bebauungsplan veröffentlicht wurde, der just in diesem Gebiet die Errichtung schnuckeliger Wohnhäuser mit gepflegtem, exakt gestutztem Rasen, Thuja-Grundstücksbegrenzung und den einen oder anderen Lebensmitteldiscounter ermöglichen sollte. Der schon erwähnte Naturfotograf glaubte nun sich als Bürger der Gemeinde im Rahmen einer Stellungnahme zu Wort melden zu müssen. Schriftlich, wie es vorgesehen ward und ausführlich, damit es auch etwas bringt.

 

Er wies auf die im Gebiet lebenden Arten hin, machte Angaben zu deren Schutzstatus, weil das ja sonst niemand tat und es wohl auch niemand bemerkt hätte und war recht zuversichtlich ob des weiteren Ablaufs. Nicht, dass er tatsächlich annahm, die Errichtung des Baugebietes verhindern zu können. Dafür war er schon lange nicht mehr naiv genug. Aber er dachte, dass zumindest Ausweichhabitate ausgewiesen und die vorhandenen Tiere vor Beginn der Erschließung umgesiedelt werden könnten. Wenigstens die besonders geschützten Arten, so wie es im Jahr zuvor bereits auf einer anderen naheliegenden Fläche mit den dortigen Zauneidechsen geschehen war.


Erstaunt musste er feststellen, dass ein paar Wochen nach seiner Stellungnahme die bislang hauptsächlich von den Gottesanbeterinnen besiedelte Fläche auf einmal gepflügt und mit Mais eingesäht wurde. Nachdem sie jahrelang brach lag. Zufall? Bestimmt! Gibt es ja immer wieder. So Zufälle.

Nun ja, Gottesanbeterinnen waren im folgenden Sommer 2014 jedenfalls kaum noch zu finden. Drei Stück, um genau zu sein. Mehr als fünfzig waren es im Jahr davor. Und Mais ist ja auch gut für´s Klima. Da kann man nämlich prima Biosprit draus machen. Falls jemand mal Gottesanbeterinnen sehen wollte, könnte er dann zum Beispiel umweltfreundlich mit dem Auto zum Kaiserstuhl fahren. Mit Biosprit aus der nächsten Umgebung quasi.

 

Und die Bürgerbeteiligung? Wurde da nicht davon geschrieben, man erhalte Antwort auf seine Stellungnahme? Weil das ja Vorschrift ist? Pustekuchen. Bisher zumindest. Aber ist ja auch gerade Karneval, da ist keine Zeit für solche Nebensächlichkeiten. Der Gemeinderat jedenfalls beschloss, dass die frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit ordnungsgemäß erfolgt sei und der Bebauungsplan wurde als notwendig erachtet und aufgestellt. Hat ja auch definitiv vorher niemand behauptet, dass "Beteiligung" mit "Gehör finden" oder gar "Änderungen am Entwurf vornehmen" gleichgesetzt werden könne oder müsse. Die Gottesanbeterinnen sind ja zum Glück im Rahmen der frühzeitigen Bürgerbeteiligung - zufällig - im Mais verschwunden. Sonst hätte man sich tatsächlich darum kümmern müssen, was man mit einer besonders geschützten Art zu machen habe, die blöderweise an einer für ein Bauvorhaben arg ungünstigen Stelle lebt.

Und die Eidechsen werden momentan gerade in ihren Überwinterungslöchern von einem Bagger mitsamt dem noch vebliebenen Aufwuchs verdichtet, siehe Bild. Das nennt sich offiziell übrigens Entferung der Sträucher und Bäume unter Beachtung der artenschutzrechtlichen Vorgaben. Für mich sieht das eher nach dem Motto aus, wenn keine Eidechsen zu sehen sind, muss man sie nicht umsiedeln. Wie praktisch! Aus Kostengesichtspunkten, versteht sich. Wobei ich nicht weiß, ob der Bagger auch Biodiesel tankt. Dann wäre das sogar noch umweltfreundlich.

Eine Ausgleichsfläche wird wohl tatsächlich ausgewiesen. Zur Zeit muss die aber noch durch eine Garten- und Landschaftsbaufirma vorbereitet werden, damit alle vier oder fünf überlebenden Eidechsen nach dem Winterschlaf, so sie es aus dem verdichteten Erdreich schaffen, dann auch dort einziehen können. Ob das Ganze dann den hier vorher lebenden Arten etwas bringt, wage ich mal vorsichtig anzuzweifeln.

 

Die Obstbäume und Gebüschstreifen begann man merkwürdigerweise bereits Tage vor dem Beschluss des Gemeinderates Stück für Stück zu entfernen und auch die Markierungen für die Erschließungsarbeiten waren schon vorhanden bevor der Gemeinderat überhaupt tagte. Die mit den Rodungsarbeiten im Rahmen einer Ausschreibung beauftragte Fachfirma war bereits vor der Abstimmung im Gebiet unterwegs. Offenbar stand das Ergebnis ohnehin bereits fest. Ist ja Vorschrift. Äh, nein, das war falsch formuliert. Ist ja im Sinne des Gemeinwohls so zu erwarten gewesen, wollte ich schreiben.

 

Der nicht mehr ganz so hoffnungsfrohe Naturfotograf ist zum Glück kein Mitglied des Gemeinderates. Sonst hätte er sich ja auch noch fragen müssen, ob er denn dort als gewählter Vertreter der Bevölkerung diese überhaupt wirksam verträte oder ob die Entscheidungen nicht ohne ihn an anderer Stelle getroffen würden. Weil die Maßnahmen ja sonst keinesfalls vor einer Beschlussfassung hätten beginnen dürfen. Was ein Glück, dass er mit solch schwierigen Gedanken nicht konfrontiert wird. Schließlich durfte er sich ja bereits frühzeitig beteiligen und nun ist auch mal gut. Und das mit der Demokratie und der Abwägung zwischen Naturschutzbelangen und öffentlichem Interesse sollten ohnehin besser die machen, die sich damit auskennen. Da stört die Bevölkerung im allgemeinen ja eher.


Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und real existierenden Orten sind im übrigen ausdrücklich beabsichtigt und nur eigene Schlussfolgerungen frei erfunden.

 

Zum Schluss noch ein paar Bilder aus besseren Zeiten. Man soll ja nicht immer nur so negativ eingestellt sein...

 

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Kommentare: 4
  • #1

    Gottlieb Schaberger (charlie) (Montag, 16 Februar 2015 19:44)

    Ja, so isses. Wenn es um die Steuereinnahmen geht, werden Gemeinden zu Hyänen. Ich wundere mich auch über das explosive Wachstum der Gewerbegebiete um jedes einzelne Dorf. Soviel Wirtschaftswachstum gibt's gar nicht, wie die Gerwerbeflächen wachsen. Und dann sind die auch noch furchtbar hääääässssslich!!!!

  • #2

    Marina (Dienstag, 24 Februar 2015 10:02)


    Hallo Marcus,
    so oder so ähnlich geschieht es leider viel zu oft und macht mich immer wieder sehr betroffen!
    Auch ich habe vor kurzer Zeit zusehen müssen, wie mein bis dato so geliebtes und praktisch unberührtes Makrorevier zerstört wurde.
    Selbst die erfolgten Begehungen, auch durch LANUV-Mitarbeiter welche das Vorkommen der gefährdeten Insekten und Amphibien bestätigten, konnten dies am Ende nicht verhindern. Allerdings blieben hier so wenigstens kleine Rückzugsmöglichkeiten z.B. für die Kreuzkröten erhalten.
    Das Thema ist allerdings ziemlich komplex und die Natur hat leider immer noch keine vergleichsweise große Lobby.
    Hoffen wir das unsere Bilder ein klein wenig dazu beitragen, auch andere Menschen von deren Schutzwürdigkeit zu überzeugen!

    Viele Grüße
    Marina

  • #3

    Marcus Rimpel (Dienstag, 24 Februar 2015 18:50)

    Inzwischen ist mir als Stellungnahme zu meinen Einwänden vom beauftragten Planungsbüro bestätigt worden, dass diese im Gemeinderat beraten und abgewogen und in den Planungsentwurf eingearbeitet worden seien.

    Zitat des Beschlusstextes im Bebauungsplan:

    "Die Auswirkungen der Planung auf vorhandene heimische Vogelarten und streng geschützte Arten wurden in der Artenschutzrechtlichen Prüfung untersucht und dargestellt.
    Die vorgesehenen Ausgleichsmaßnahmen und Festsetzungen im Bebauungsplan zur Vermeidung, Minimierung und Ausgleich werden auch im Hinblick auf die Entwicklung geigneter Lebensräume für die vom Vorhaben betroffenen Tierarten vorgesehen. (...)"

    Aha. Dann ist ja alles klar: Das Biotop ist futsch, macht aber nichts, weil ja erstens abgewägt wurde (und die ehemals vorkommenden streng geschützten Arten zwar streng geschützt sind, aber nicht so wichtig wie die ach so notwendige Eigenentwicklung des Ortes und Rasen und Parkplätze und Discounter und Thuja) und zweitens geeignete Lebensräume im Rahmen der Ausgleichsmaßnahme ENTWICKELT werden sollen. Die sind also gar nicht vorhanden. Ist natürlich cool, so ein strenger Schutzstatus, wenn dann doch erstmal alles platt gemacht werden darf und im Nachhinein versucht wird, die verschwundenen und immer noch streng geschützten Arten (woher eigentlich?) wieder anzusiedeln. Ich bin restlos bedient.

  • #4

    natur heinzi (Montag, 06 April 2020 19:23)

    ja finde ich auch. Die machen es sich einfach! die haben doch wirklich keine ahnung wie sich das entfernen von Hecken auf die Umwelt auswirkt. Hecken sind Rückzugsorte für Tiere und sollten nicht unterschätz werden . was ist nur aus der Menschheit geworden, dass eine Vielfalt für Geld in die Mülltonne gekloppt wird